Historie: Vom „Schneider Pack“ zur IPK-Plus-Methode

Hintergrund / Einleitung: Die Wirkung verändert sich entschieden, wenn zwischen einer zur intermittierenden pneumatischen Kompressionstherapie dazugehörigen handelsüblichen Manschette und einer zu entödematisierenden Region eine ausdrücklich dicke Schicht (mindestens 7 cm) von fein gewürfeltem elastischen Schaumstoff aufgebracht wird. An den Extremitäten verwendet man eine Muffe, an anderen Stellen kommen Kissen in Betracht, deren Wandung z.B. aus einem handelsüblichen Baumwollschlauchverband bestehen kann. Auf ein Absteppen einzelner Kammern wird bewusst verzichtet, damit nach dem Prinzip „hohe Auflage gleich höherer Druck“ fallbezogen regional Gestaltungsspielräume geschaffen werden können. Eine solch beschriebene Komponente hält einer Kochwäsche stand. Erstmalig im Jahr 2018 wurde diese Form der Anwendung von ihrem Entwickler Martin Morand als IPK-Plus Methode bezeichnet.

Die Erfindung der Einlage aus den späten achtziger Jahren geht auf den Therapeuten Bernd Schneider zurück, der zwar auf Komplexe Physikalische Entstauungstherapie spezialisiert war, der die IPK aber nicht mit diesen sogenannten Schneider-Packs bzw. -Muffen eingesetzt hat, sondern diese Komponenten sehr gut verträglich unter Kompressionsbandagen verwendete. Die intermittierende pneumatische Kompressionstherapie (IPK) war in der Földi Klinik eher verpönt, niemand aus dem Therapeutischen Lager war mit der Methode vertraut.

Martin Morand, ein Zeitzeuge erinnert sich:

Auch ich war wie Bernd Schneider von 1987 – 1991 als Therapeut an der Földiklinik beschäftigt. Allgemein herrschte dort ein sehr angenehmes Betriebsklima, verbunden mit einem stets regen Austausch unter erfindungswütigen Kolleginnen und Kollegen. Es gab viele spannende Fälle, denn schwere Kollateralschäden aus der onkologischen Therapie, die durch einen damals noch alles andere als schonenden Umgang mit dem Lymphgefäßsystem von Seiten der Chirurgie und Strahlentherapie verursacht wurden, waren immens. Überwiegend auch durch das von den Therapeutinnen und Therapeuten erbrachte Engagement wurden lymphangiologische Ödemerkrankungen geradezu leidenschaftlich und mit viel kreativem Einsatz entstaut. Bernd Schneider ein sehr ambitionierter Kollege glänzte stets überdurchschnittlich, wobei sein universal handwerkliches Geschick großartige Ergebnisse hervorbrachte! Sehr geschätzt auch von Seiten der ärztlichen Leitung, Prof. Dr. Földi, Ethel und Michael, wurde ihm 1988 der Fall einer jungen Frau mit einem hochgradigen primären Beinlymphödem zugewiesen. Die australische Patientin befand sich in Begleitung von Journalistinnen/-en, die exklusiv darüber berichten durften, wie nun dieses massive Lymphödem unter der Regie von Bernd Schneider entstaut wurde.
In dieser Zeit bin ich dann eines Abends darauf gestoßen, wie mein WG-Mitbewohner in seinem Zimmer an der Nähmaschine sitzend klein geschnipselten Schaumstoff in Kissen verpackt zunähte. Es war ihm zunächst keine Antwort zu entlocken, als ich ihn gezielt nach dem Sinn der Übung befragen wollte. Erst zwei Tage später zeigten sich die ersten hervorragenden Ergebnisse seines Tuns, von denen zunächst Frau Prof. Földi, Bernd Schneider selbst und natürlich eine sehr zufriedene Patientin sehr beeindruckt waren. Pressestimmen aus Australien wurden mir nicht bekannt, dafür aber, dass Schneider dann wenig später noch auf die sehr geniale Idee kam, einen „Schneider Pack“ in Muffform zu kreieren, der so eine gleichmäßige Rundumversorgung bei der Anwendung an den Extremitäten ermöglichte. Entgegen vieler guter Vorsätze der ärztlichen Leitung wurden seinerzeit aber letztendlich keine Untersuchungen zu der Wirkungsweise durchgeführt. Rückblickend kann man aber sagen, dass sich zahlreiche sehr erfahrene Mitarbeiter der Földi Klinik (Fachklinik für Lymphologie), Ärzte und Physiotherapeuten von den sicht- und tastbaren Behandlungsresultaten sehr erstaunt zeigten. Aussagefähige Veröffentlichungen sind mir nicht bekannt. Es liegen knapp kommentierte Bilder vor, die nur zu Teilen die Ideen von Bernd Schneider aufzeigen. Trotz der vielen Vorzüge kam diese in ihrer Wirkung bis heute nicht erreichte Methode schon bald aus der Mode. Sie kommt in der ursprünglichen Form seit Jahren so gut wie überhaupt nicht mehr zum Einsatz. Aus meiner Sicht lässt sich dies so erklären: Die Herstellung solcher Abpolsterungseinlagen muss in aufwendiger Handarbeit erfolgen, und die Materialkosten sind in der Regel von einem Behandlungszentrum selbst zu tragen. Insbesondere die von Schneider entwickelten Einlagen in einen Kompressionsverband zu integrieren, erfordert eine längere Wickelerfahrung der ausführenden Therapeutin bzw.-des Therapeuten; zudem ist der notwendige Zeitaufwand für das Bandagieren selbst auch für Therapeutinnen/-en mit viel Routine recht hoch. Ein weiteres Problem besteht darin, dass das vergrößerte Volumen des Verbandes manchen Patienten Schwierigkeiten bereitet.

Vom Schneider Pack zur IPK+ Idee

Im Februar 2009 bekam ich Martin Morand, das Angebot, als Berater für ein finnisches Startup Unternehmen zu arbeiten. Zuvor wurde mir am Rand der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie 09/2008 in Dresden ein Gerät vorgestellt, mit dem man durch auf den Hautmantel wirkende Saugintervalle Lymphgefäße zu einer Mehrtätigkeit anregen sollte. Obwohl meine damals geäußerte Meinung den Erfindern und einer Vertreterin des finnischen Ministeriums für Außenhandel nicht gerade gut gefallen haben dürfte, bekam ich zu meiner großen Überraschung eine Einladung nach Helsinki. Erst dort vor Ort kam mir der zündende Einfall, dass man mit der Technik induriertes Gewebe, z.B. bei Lymphostatischer Fibrose, lockern könnte. Ich bekam dann auch den Zuschlag, Praxistests in dieser Richtung durchzuführen, ein Techniker gelang es das auf meine Idee hin in der Ansaugphase auch noch ein Vibrationseffekt erzeugt wurde. Das führte zu guten Resultaten und regte meine Phantasie dahingehend an, dass mir irgendwann im „Klaus K“- Hotel in Helsinki wie aus dem Nichts die Idee zu der IPK-Plus-Methode kam. Erst zum Ende des Jahres 2014 wurde ich von meiner Lebensgefährtin Frau Gabriele Wähner hartnäckig überredet, erste praktische Tests durchzuführen. Sie, die geschickt auch im Umgang mit einer Nähmaschine ist, war es dann, die Polsterungen dafür herstellte. Die IPK-Geräte mit den dazugehörigen Manschetten bekamen wir von einem Hersteller zur Probe. Was wir damit im Schilde führten, bewahrten wir in engen Kreis. Mein Sohn Max und ich waren schließlich die ersten Testpersonen, wobei Max den Vortritt hatte und wir das gesamte Equipment anschließend für eine Woche mit in den Urlaub nahmen, um weitere Trockenübungen in einer Ferienwohnung durchzuführen. Zurück in Berlin war bei meinem Sohn Max ein frisch entstandenes Umknicktrauma mit angeschwollenem Fuß und Sprunggelenk zu behandeln, ein Glück im Unglück, denn aufgezeigt werden konnte die hohe Verträglichkeit der IPK+, da in diesem Fall über einem verletzten und daher besonders berührungsempfindlichen Areal gearbeitet werden musste. Ein befreundeter Arzt, der den Patienten drei Tage zuvor kurz nach seinem Unfall, untersucht hatte, stimmte einem entsprechenden Therapieversuch zu. Die Behandlung wurde infolgedessen bei Max als erstem Patient über einen Zeitraum von etwa 60 Minuten beschwerdefrei durchgeführt. Der Druck wurde von Max selbst in kleinen Schritten innerhalb von 10 Minuten von zunächst sehr leichten 20 bis auf zuletzt respektable 80 mmHg Druck gesteigert. Die Anwendung musste und konnte für ihn über den gesamten Zeitraum völlig beschwerdefrei durchgeführt werden. Allein diese Maßnahme führte zu einer augenscheinlich erheblichen Reduktion des posttraumatischen Ödems. Erfahrungsgemäß kann ein solch deutliches sicht- und tastbares Behandlungsresultat über eine vergleichbare 60 minütige Applikation von Manueller Lymphdrainage (MLD) nicht erreicht werden. Darüber hinaus wäre es wohl in diesem Stadium auch kaum möglich gewesen, eine MLD-Behandlung direkt im Bereich des Schadens schmerzfrei durchzuführen. Der Patient hat sich in den nächsten Tagen nach weiteren IPK+ Behandlungen gesehnt und führte diese schon recht bald völlig selbständig durch, wobei nur noch Kompressionsverbände nach den Anwendungen gelegt werden mussten und die Genesung in wenigen Tagen zügig voranging. Mit der IPK+ Anwendung wurde übrigens auch die Region unterhalb des Knöchels (retromalleolär) erreicht, was mit einer herkömmlichen einfachen Manschette nicht möglich gewesen wäre. Irgendwelche nachteiligen Folgen der Anwendungen waren nicht erkennbar. Wir waren begeistert, eine Vielzahl erfolgreich verlaufender Praxistests mit Patientinnen/-en aus dem gesamten Spektrum Lymphangiologischer Ödemerkrankungen folgte unmittelbar.

Schneider-Packs bzw. -Muffen mit einem typischen Innenleben, bestehend aus einer dicken Schicht beweglicher Schaumstoffwürfel. Die dünne, weiche Wandung ermöglicht das Durchlassen von Reizen auf den Hautmantel.

Weiterentwicklung der Schneiderschen Idee zu Multifunktionspolsterungen unter IPK

Als Entwickler der IPK+ Methode gingen mein Team und ich dann basierend auf meiner Erfindung noch einige Schritte weiter. Zur Verwendung kommen nun nicht nur eine Sorte, sondern verschiedene Schaumstoffe, die seit Jahrzehnten gut verträglich unter lymphologischen Kompressionsverbänden eingesetzt werden. Entdeckt wurde, dass unterschiedliche Größen und Materialeigenschaften der verbauten Schaumstoffkörper unter IPK+-Anwendungen zu verschiedenen Wirkungen auf Ödeme verschiedener Genese führen. Unterschieden wird zwischen weichen und gut dellbaren bzw. festen und kaum oder gar nicht Dellen hinterlassenden Schwellungen, posttraumatischen Ödemen mit geschädigten Gewebsstrukturen und hoher Druckempfindlichkeit und dem Lipödem. Beim Experimentieren mit vielen verschiedenen elastischen Stoffen wuchs allmählich die Erkenntnis, dass man mit Stoffen, die elektrostatische Eigenschaften aufweisen, bessere Entstauungsresultate erzielt als bei solchen mit antistatischen.

Hierzu ein von Martin Morand durchgeführter Praxistest:

Verwendet wurde Schaumstoff mit einem RG von 35. Zwei Sorten unterschieden sich ausschließlich dahingehend, dass Typ 1 eine elektrostatische und Typ 2 eine antistatische Eigenschaft besaß. Vom Hersteller waren die Platten über Falzung so vorbereitet, dass exakte 10-mm-Würfel gewonnen werden konnten. In gleicher Mengenverteilung wurden diese in Muffen platziert. Bei fünf Patienten, die für ihre Ödemproblematik noch keine Therapie erhalten hatten, wurde ein signifikant besseres Entstauungsergebnis bei Verwendung von elektrostatischem Schaumstoff erzielt als bei Verwendung von antistatischem Material. Die Tests wurden bei diesen Patienten an zwei verschiedenen Tagen jeweils zur selben Uhrzeit mit einem immer gleichen Grad an Schwellung durchgeführt; IPK-Druckstärke und Anwendungszeit waren gleich.
Die Gründe für diese unterschiedlichen Reaktionsweisen sind bislang nicht geklärt.

Schneider-Muffe im Querschnitt, vergleichend mit anderen Beispielen industriell gefertigten Abpolsterungseinlagen. Alternativ zu Schneider-Packs bzw. -Muffen eingesetzt, konnte kein nennenswertes höheres Ergebnis an Wirkung der IPK herbeigeführt werden!

Mit diesen Ausführungen möchte ich dieses Kapitel zunächst schließen, zu einem späteren Zeitpunkt soll darüber berichtet werden unter welchen Höhen und Tiefen sich der Prozess von der Idee bis zur wissenschaftlichen Anerkennung verbunden mit einer breiten Anwendung der IPK+-Methode in der Praxis entwickelte.


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